Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Bürger der Stadt,
sehr geehrte Kollegen aus dem Gemeinderat, sehr geehrte Damen und Herren der Verwaltung, sehr geehrte Pressevertreter,
Denkmalgeschützte Mörderstühle für Besucher im Ratssaal: blaue Knie als Mitbringsel
haben Sie schon mal eine Probesitzung auf den denkmalgeschützten Mörderstühlen für die Besucher im Großen Ratssaal gemacht? Da gehen Sie mit blauen Knien wieder raus und kommen so bald nicht wieder. Es ginge in diesen modernen Zeiten – technisch ganz einfach – bequemer, bürgerfreundlicher und für Pandemie-Gläubige auch gesünder: warum sollen die Leute nicht zuhause auf dem Sofa mit mehr Beinfreiheit eine Gemeinderatssitzung verfolgen können?
Kleine, lässige Machtdemonstration: Bürger, lass‘ uns in Ruhe
Diese Antwort der Verwaltung auf unseren Antrag ist mal wieder eine kleine, lässige Machtdemonstration. Und geübt-routiniert sticht sie mit dem Florett des Zynismus ins Herz der Demokratie: das Herz der Demokratie ist der mündige Bürger, der seine „Volksvertreter“ beobachten und kontrollieren möchte.

Transparenz ohne Service-Journalisten mit Schönsprech-Filter
Der Bürger möchte sich ein eigenes Bild machen, ohne die Schönsprech-Filter einer Presse, die ihre Gatekeeper-Funktion allzu freiwillig-willfährig im Sinne der Mächtigen und allzu oft gegen die Interessen der Bürger ausübt, Stichwort „Service-Journalismus“.
Datenschutz: den Bürger vor dem Staat oder den Staat vor dem Bürger schützen?
Der Datenschutz, den die Verwaltung hier als ihr zentrales Argument ins Feld führt, war mal gedacht als Schutz für den Bürger vor einem übergriffigen, allzu neugierigen Staat – die Älteren erinnern sich an den Aufruhr, den die Volkszählung Anfang der 80er Jahre verursachte.
Doch die Bürokratie hat es geschafft, den Spieß umzudrehen: der Datenschutz wird hier mißbraucht als Schutzschild der Bürokratie gegen den mündigen Bürger. Es ist doch ein Witz, dass Gemeinderäte, die vorher für viel Geld ihr Gesicht auf Wahlplakaten in der ganzen Stadt und im Internet präsentieren, nachher Persönlichkeitsschutz anführen, wenn ihre Arbeit im Gemeinderat von der Öffentlichkeit überwacht werden soll. Auch die Mitarbeiter der Stadtverwaltung: viele von Ihnen sind mit Porträt auf der Webseite des Rathauses. Und im Bundestag werden ja auch die Saaldiener gefilmt, die nach jedem Redner das Rednerpult desinfizieren oder das Glas Wasser austauschen.
Die Grundlage der Demokratie: der gut informierte und erst so mündige Bürger
Nur ein gut informierter Bürger kann seine Rechte und Pflichten als Souverän in der Demokratie kompetent ausüben. Ein bestmöglich informierter Bürger ist geradezu die Grundlage einer funktionierenden Demokratie, alle Demokraten und sogar die Bürokraten in der Demokratie sollten daran aktiv mitarbeiten.
Christian Lindner hat vor der BT-Wahl gesagt „wir müssen lernen, Politik ohne Geld zu machen“. Das könnten wir hier üben, die Kosten für die Übertragung sollten sehr überschaubar sein, werden einen Bruchteil nur der Miete kosten, die wir heute als Stadt und Eigentümer an unsere eigene Stadthallen-GmbH als Miete bezahlen müssen. Ich bin sicher: zwei Azubis der IuK (Abteilung Informations- und Kommunikationstechniken) würden das locker schaffen.
Das Elend der Reutlinger Kirchturmpolitik – warten als oberstes Bürokraten-Prinzip
Einmal könnte Reutlingen hier vorne mit dabei sein. Der Hinweis auf den Landtag, dass wir warten sollten, bis der ein entsprechendes Gesetz verabschiedet hat, ist ein ganz schwaches Argument, entbehrt jeder Ironie, kann nur heftiges Gähnen auslösen.
Kleine Episode dazu: im grün-roten Koavertrag von 2011 wird auf Seite 78 ein umfassendes Informationsfreiheitsgesetz versprochen. Drei Jahre später muss eine grüne Delegiertenversammlung im November 2014 in Tuttlingen die erste Kretschmann-Regierung dann erinnern, „endlich ein Informationsfreiheitsgesetz“ zu verabschieden (Beschluss der Delegiertenkonferenz hier im Netz und sichergestellt hier). Das dann nach Ansicht des eher linken Vereins Mehr Demokratie e.V. das bundesweit schwächste Gesetz dieser Art wurde, vielleicht weil ein damaliger SPD-Innenminister Gall oder seine leitenden Beamten überhaupt kein Interesse an so viel Bürgerrechten und Bürokraten-Beobachtung hatten. So viel zum Warten auf den Landtag in Sachen Transparenz und Bürgerinformation.
Den Bürger als Souverän achten
Wer den Bürger nicht als Gegner oder als Problem sieht, sondern als Souverän achtet – der kann nur für unseren Antrag sein.
Wir wollen den Live-Stream und wir wollen die Archivierung und Bereitstellung auf youtube, besser auf weniger zensierten Plattformen wie Bitchute, Odysee oder Rumble. So geht Transparenz, so geht Verantwortung vor dem Bürger.
Gemeinderat als Aktivposten der Stadt, als aktive Bürgervertretung
Und wir wollen einen Gemeinderat, der im Ansehen der Bürger steigt, der als Aktivposten bei der Gestaltung der Zukunft der Stadt wahrgenommen wird. Als gesamtes Gremium sind wir hier zu passiv, lassen uns von der Verwaltung allzu oft wie z.B. beim ASS in die Nichtöffentlichkeit drängen und damit vom Kontakt zu den Bürgern abschneiden.
Raus aus der Komfortzone – ran an die Arbeit – Performance für die Bürger verbessern
Mit unserem Antrag verlassen wir als Gremium unsere oft allzu bequeme Komfortzone – zum Wohle der Stadt. Natürlich wird unter dem dann noch helleren Licht der Öffentlichkeit die Performance der Sitzungen besser, werden Gemeinderäte sich besser auf die Sitzungen vorbereiten, kritischer der Verwaltung auf die Finger gucken, kreativer eigene Anträge einbringen.
Wer möchte schon vor dem Souverän als träger Abnicker ohne eigene Ideen schlecht dastehen? Oder beim Gespräch auf der Wilhelmstraße oder im Foyer der Stadthalle bei kritischen Fragen der Bürger nicht sagen können „wir haben für unseren Antrag gekämpft – das kannst Du auf youtube nachschauen!“
So kommt Bewegung in den Laden. Unsere Demokratie, unser Land brauchen dringend diese Bewegung, die Breite der Diskussion, die informierten und dann aktiv sich einbringenden Bürger. Vielen Dank.
Hier der ursprüngliche Antrag vom Herbst 2020 zum Download
Die Antwort der Verwaltung „warum das nicht geht“ (wozu brauche ich eine Verwaltung, die mir über 4 – 5 Seiten erklärt und tausend Gründe findet, warum mehr Transparenz für den Bürger nicht gehen soll?) – Bürokraten eben.
(Zwischenüberschriften nachträglich für übersichtlichere Lektüre eingefügt)