Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Frau Weiskopf, sehr geehrte Herren Hahn und Wintzen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderats, sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Presse, sehr geehrte Bürger der Stadt Reutlingen,
die Bundespolitik wird von der AfD-Bundestagsfraktion erfolgreich und wirkmächtig kritisiert und diskutiert. Deshalb kann ich mir lange Vorreden sparen, auch wenn es dringend nötig wäre, die meisten der hier Anwesenden mit ein paar deutlichen Ansagen zu konfrontieren. Die Begrenzung der Redezeit erlaubt es, nur auf die größten Posten einzugehen. Die gesamte Rede können Sie auf meinem Telegram-Kanal und auf meiner Webseite hansjoerg-schrade.de nachlesen.
Unsere Anträge hätten den Reutlinger Bürgern mindestens 13 Millionen Ausgaben der Stadt erspart.
Fangen wir mit dem im Stadtbild deutlichsten Brocken an, bei dem die AfD über 5 Millionen einsparen würde. Der Betrauungsakt vom Januar 2019 für die RSV unter dem Titel „Alles wird busser“ wurde vom Gemeinderat mit einem Zuschussbedarf von 5,6 Mio. für 2020 verabschiedet. Doch im Dezember 2020 wurden Gemeinderat und Öffentlichkeit mit einem Defizit von 14,2 Mio. Euro überrascht, 8,6 Mio. mehr als geplant. Dabei betrugen die Mindereinnahmen durch geringere Fahrgastzahlen wg. Corona nur 1,3 Mio. „Unzutreffende Annahmen“ bei der Planung, auf deutsch: handwerkliche Fehler seien für weitere 2,7 Mio. Defizit verantwortlich. Doch für die restlichen 4,6 Mio. Euro Defizit gab es keine Erklärung. Gab es keine Erklärung oder hätte die Wahrheit einen Teil der Bevölkerung verunsichert?
Die finanzielle Misere der Stadt Reutlingen ist damit schnell erklärt, es ist kein Problem auf der Einnahmenseite! Wir haben eine Verwaltungsspitze, die es nicht für nötig hält, Planungsfehler i.H.v. 2,7 Mio. aufzuklären. Niemand übernimmt Verantwortung. Und für weitere 4,6 Mio. Defizit gibt es gar keine Erklärung – und fast der gesamte Gemeinderat schaut wie mit irgendeiner Substanz sediert schicksalsergeben zu.
Herr Oberbürgermeister, ich muss Sie direkt ansprechen. Es muss einen misstrauisch machen, dass Sie weder Aufklärung versprochen noch personelle Konsequenzen gezogen haben. Ich unterstelle Ihnen weder Verantwortungslosigkeit noch Apathie. Anhand der Indizien drängt sich vielmehr ein ganz anderer Verdacht auf: diese sogenannten Planungsfehler in der Gesamthöhe von 2,7 plus 4,6 Mio = 7,3 Mio. waren pure Absicht, wurden aber dem Gemeinderat, den Genehmigungsbehörden und der Öffentlichkeit von Anfang an verschwiegen. Noch im Haushalt 2017/18 betrug der Zuschuss zum ÖPNV ca. 1 Mio. Euro. Niemals wäre den Bürgern oder den Genehmigungsbehörden, auch nicht den Zuschussgebern zu Lead City zu vermitteln gewesen, dass nur 2 Jahre später der Zuschuss plötzlich 10 oder 11 Mio. betragen sollte.
Ein weiteres Indiz spricht für diesen Verdacht, und dafür, dass mindestens ein Teil des Gemeinderats in diesen Coup einbezogen war. Die beiden größten Fraktionen CDU und Grüne haben 2017 wegen der Schnurbäume vor der Stadthalle gemeinsam Akteneinsicht gefordert. Doch vier Jahre später wollen sie bei einem ach so überraschenden Defizit von 7, 8 oder 9 Mio. keine Akteneinsicht? Handelt es sich um vornehme Zurückhaltung, um Resignation oder waren Sie eingeweiht?
Mit unserem Antrag, den Zuschuss auf 5,6 Mio. Euro zu reduzieren, nehmen wir den Gemeinderatsbeschluss vom Januar 2019 ernst. Wir akzeptieren dieses demokratische Votum. Was wir nicht akzeptieren können, sind Planungsfehler, Verantwortungslosigkeit oder gar absichtliches Verschweigen vor Gremien und Öffentlichkeit von Defizit-Ursachen in Millionenhöhe.
An einem zweiten Beispiel wird weiter deutlich, woher die Finanzmisere kommt. Im Betriebsausschuss TBR wurde diesen Sommer eine neue LKW-Kehrmaschine beschlossen, Kostenpunkt 350 TEUR, der Vorgang fand in öffentlicher Sitzung statt. Auf die Ausschreibung war komischerweise nur ein Angebot eingegangen. Mit nur einer Gegenstimme wurden 75 Prozent Kostensteigerung im Vergleich zur bestimmt nicht zu knappen Annahme von 200 TEUR im Wirtschaftsplan für ein Allerweltsprodukt akzeptiert. Herr Bürgermeister Wintzen, ich muss Sie direkt ansprechen: als Finanzbürgermeister können Sie so einen Vorgang, so eine Kostensteigerung von 75 Prozent in einem Jahr, doch nicht kommentarlos durchwinken, da muss doch etwas passieren. Was passieren hätte können oder müssen, habe ich in der Sitzung im Sommer vorgeschlagen. Das wäre die Gelegenheit gewesen, die Touren dieses einen Fahrzeuges auszuschreiben und an einen Dritten zu vergeben. So hätte man einen permanenten Leistungs- und Kostenvergleich mit der TBR gehabt. Es ist zu befürchten, dass dieser Vorgang sich in ähnlicher Form schon vielfach wiederholt hat und nur hier die Spitze eines Eisbergs sichtbar geworden ist.
Deshalb haben wir einen Compliance Officer gefordert, der nicht der Verwaltungsspitze untersteht, sondern der Gemeindeprüfungsanstalt. Der nicht an den Oberbürgermeister berichtet, sondern direkt an den Gemeinderat. Der in großer Freiheit und mit umfassenden Ermittlungsrechten risikoorientiert das Rathaus und die Eigenbetriebe durchforsten kann.
Frau Bürgermeisterin Weiskopf: in der Raschelstunde haben Sie berichtet, dass in den nächsten Jahren viel weniger gebaut werden wird. Und dass im Stadtplanungsamt 10 Stellen nicht besetzt sind. Wir haben deshalb beantragt, diese 10 Stellen zu streichen. Das ist der Unterschied zwischen Bürokratie und Demokratie: die Bürokratie geht nie einen Schritt zurück, ufert ohne Halt und Begründung aus. Demokratie entscheidet fall- und sachbezogen in Verantwortung vor dem Steuergeld des Bürgers. Wenn je wieder mehr gebaut werden sollte, kann der Gemeinderat wieder Stellen beschliessen. Bis dahin sind diese Stellen zu streichen.
Herr Bürgermeister Hahn, mit Ihren Stellenforderungen von 27 Stellen im Bereich Kinder, Jugend und Soziales bauen Sie ein Potemkinsches Dorf. Diese Stellen werden zum Großteil nicht besetzt werden können, weil schon heute viele Stellen nicht besetzt sind. Dass für Flüchtlinge 10 und für Soziales 16 zusätzliche Stellen beantragt werden, für Digitalisierung dagegen nur 1,5 Stellen, steht exemplarisch für das ganze Staatsversagen. Unser Antrag für ein Reutlinger Familiengeld, den wir für diesen Haushalt wiederholt haben, würden den Familien mit über 400 Euro im Monat eine spürbare Unterstützung gewähren – allein aus den Personalmitteln der eingesparten und schon jetzt nicht besetzten Stellen. Er war so zwingend logisch und gut, dass den anderen Fraktionen bei der Diskussion vor 2 Jahren kein einziges Argument dagegen eingefallen ist.
Zu unseren Anträgen:
Wir möchten den Bezirksgemeinden mehr Freiheit und mehr Entscheidungskompetenzen geben. Es ist ein Witz, dass die Bezirksgemeinderäte und -bürgermeister gerade mal über 700 bis 800 Euro im Jahr entscheiden können. Wir möchten diese Summe auf das Hundertfache steigern, in den Bezirksgemeinderäten weiß man auf jeden Fall besser, was nötig wäre. Und nein, wir möchten dafür nicht 7,5 Millionen ausgeben, wie die Verwaltung uns in ihrer Stellungnahme missverstehen wollte. Wir wollen ja nicht die Grünpflege in den Bezirksgemeinden verhundertfachen, sondern wir wollten nur die 700 oder 800 Euro pro Bezirksgemeinde auf S. 185 links unten zur freien Verfügung auf 70 oder 80.000 pro Bezirksgemeinde erhöhen – nirgends haben wir von 7,5 Millionen geschrieben.
Über einen noch größeren Posten als das Defizit der RSV darf ich heute nicht berichten. Es ist nicht nur Unsitte oder Nachlässigkeit, sondern wie beim RSV-Anteilskauf im Herbst 21, als die Jahresabschlüsse 19 und 20 erst viel später als in den Vorjahren und erst nach der Entscheidung veröffentlicht wurden, muss Absicht unterstellt werden, wenn millionenschwere Entscheidungen fallen, bevor relevante Jahresabschlüsse veröffentlicht sind. Herr Oberbürgermeister, ich fordere Sie auf, klären Sie die Öffentlichkeit auf über sehr große Investitionsentscheidungen der Tochterfirmen, bei denen Sie in Personalunion Aufsichtsratsvorsitzender UND Gesellschafterversammlung sind! Die Öffentlichkeit hat ein Recht, zeitnah zu erfahren, was mit ihrem Geld passiert – gerade bei potentiell strittigen Themen!
Die Migrationskrise, der fehlende Widerstand der Verwaltung gegen die Zuweisung von immer noch mehr Migranten, die katastrophalen Auswirkungen der Klima-Ideologie auch auf den Reutlinger Haushalt, das Thema GWG oder die Situation der Innenstadt, wie die Umschreibung „geändertes Ausgehverhalten“ das verloren gegangene Sicherheitsgefühl der Bürger, vor allem der Frauen, verschleiert, belügt – dafür wird im vor uns liegenden Wahlkampf zu reden sein. Wir lehnen diesen Haushalt ab. Vielen Dank.
(Es gilt das gesprochene Wort).